Warum ich nicht ballere. Bekenntnisse eines Nasilierers.

25.4.2020

Es mag kontrovers erscheinen, auf einer Veranstaltung namens Pillenrealität das Wort zu ergreifen und sich gegen das letzte bisschen Konsens zu wenden, das unsere Welt zusammenhält.

Nun. Die Idee an sich mag kontrovers erscheinen. Die folgenden Thesen werden es sein.

Und nichtsdestoweniger, da mich einige hier nicht dicht genug kennen mögen, ein Satz zum Geleit: Das Folgende ist keine moralinversoffene Aufforderung, sich nicht in die Ecke zu schüsseln. Das Folgende hat mit Moral nichts zu tun. Es ist eine Erkenntnistheorie der Bewusstlosigkeit. Ein Aufstand der Restvernunft.

Habe ich die allgemeine Aufmerksamkeit? Gut.

Kurze Backgroundinfo für alle Anwesenden, die noch nicht vollkommen im Techon versackt sind. Seit einigen Jahren macht sich der Begriff des Ballerns in den institutionalisierten Konsumräumen der linksgrün-versifften Feierkultur breit.

Anfangs – in der Regel – noch mit einem gewissen chauvinistischen Augenzwinkern gegen die proletarische Kultur versehen, wird mittlerweile einfach nur noch geballert, was das Zeug hält. Wo gegenkulturelle Initiativen wie der Pilleneimer für eine Weile noch einen gewissen, man mag eigentlich nicht aber muss, Witz sagen, mit der Aufforderung zur Bewusstlosigkeit verbanden, ist ballern jetzt Standard.

Ballern. Ballern. Ballern.

Ich sah die besten Köpfe meiner Generation vom Baller-Wahn zerstört, hungernd, hysterisch nackt.

Ich kann den Mist mit dem Ballern nicht mehr hören.

Ballern ist der Schönheit unserer Zusammenhänge unangemessen. Wir stehen in direkter Nachfolge progressiver Kultur. Wir stehen in direkter Nachfolge jener, die aus dem Elend des rassistisch-ökonomischen Ausschlusses eine Musik schufen. Jener die der Zukunft eine Tonalität gaben.

Wir stehen in Nachfolge jener, die der heteronormativen Gewalt den Ballroom entgegengestellt haben. Die sich Räume geschaffen haben, die sie dominiert haben.

Und wir ballern. Wir sind weiße Hackfressen, die ballern. Während die Lines länger wurden, hat sich die Heteronormativität den Dancefloor zurückerobert. Hat die polizeistaatliche Formierung den letzten Angriff auf den so wehr- wie begriffslosen Ferienkommunismus begonnen.

Während die Reaktion die Welt erobert, pappen wir ein Label an unser Hobby, das wir direkt aus den Kriegsgebieten entlehnt haben. Im Krieg wird ganz handfest geballert, um Menschenleben zu zerstören und die imperialistische Weltordnung festzuschreiben. Es wird aus Dronen geballert. Aus Gewehrläufen. Aus Panzern.

Ballern passt gut zu der uns umgebenen Gesellschaftsordnung. Ballern ist internalisierte Herrschaft.

Ballern ist Neoliberalismus auf dem Hackbrett. Wer ballert, führt die Weltmarktkonkurrenz auf der mikroökonomischen Wochenendebene fort. Wer ballert, will nicht mehr Maß halten, will nicht mehr Anstand und Rücksicht walten lassen. Wer ballert will die Rohstoffe bis zum Get-No auskosten. Ballern folgt dem Playbook des Hyperkapitalismus. Höher, schneller, weiter, dümmer.

Vor diesem Hintergrund überrascht die nächste Feststellung nicht:

Ballern ist Volksfront. Ich hätte mir nun wirklich nichts schöneres wünschen können, als das Video von Voddi-Red-Bull-Koka-Strache, das zu seinem Rücktritt geführt hat. Strache ballert. Irgendwelche Crystal-Nazis in der Sächsischen Schweiz ballern. Ronald Schill ballert – mittlerweile in Brasilien. Da ist es nämlich cosy. Aber das ist ein anderer Text. Die Finanzelite in Frankfurt ballert, während ihre Algorithmen die Welt ruinieren. Auf den Toiletten des Musikantenstadls wird geballert, während nebenan das Patriarchat zelebriert wird. Der Gerüstbauer mit dem Thor Steinar-Sweater ballert. Alle ballern. Wir waren irgendwann mal klug genug, uns von allen abzugrenzen. Ich frage deswegen: Ist das eine Gesellschaft, mit der wir uns rhetorisch gemein machen wollen?

Ich frage: Ist es an der Zeit, die Bewusstlosigkeit zurückzugewinnen?

Ich antworte mit Ja und schlage einen alternativen Begriff vor. Von nun an nasilieren wir.

Nasilieren. Wie schön das klingt.

Der Begriff des Nasilierens erlaubt, die Nuance zurück in die Backstages, Ruppkabinen und Afterhours dieser Welt zu bringen.

Der Begriff erlaubt es, den Konsum illegalisierter Substanzen wieder mit dem zu füllen, was ihn über die pure Reproduktion der Scheiße erhebt: Liebe, Zärtlichkeit und Bewusstseinserweiterung statt Bewusstlosigkeit.

Wer bewusstlos bleiben will, soll ballern. Ich stehe auf der anderen Seite der aus zwei Kilo Speed erbauten Barrikade.

«Techno was concerned with the problems of the future» steht an der Säule neben mir. Das bisschen Bewusstsein sollten wir uns erhalten. Das bisschen Bewusstsein müssen wir aus den Zusammenhängen der Tanzfläche wieder in den Alltag tragen. Eine andere Welt ist möglich. Wer dafür kämpft, kämpft gegen das Ballern.

Danke für eure Aufmerksamkeit.